Paul Gerbaulet
* 01. April 1910 in Epe † 31. März 1942 in Hamburg-Rahlstedt
Stolpersteinverlegung 2014 in der Katharinenstraße 53
Wurde über die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der bundesdeutschen Gesellschaft insgesamt sehr lange geschwiegen, so finden bis heute die Menschen, die aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt wurden, kaum Erwähnung. Im Fall von Paul Gerbaulet war es zudem ein langer Weg, seine Lebens- und Leidensgeschichte zumindest in Teilen zu rekonstruieren.
Aufmerksam auf einen 1942 am Hamburger Höltigbaum hingerichteten jungen Mann mit Lübecker Adresse machte die Initiative für Stolpersteine ein Hamburger Historiker. Auf den Schießständen des einstigen Übungsplatzes der Wehrmacht wurden von 1940 bis 1945 mehr als 300 Wehrmachtsangehörige hingerichtet, zum Tode verurteilt zumeist wegen Fahnenflucht oder Wehrkraftzersetzung.
Die Lübecker Meldekarte verriet, dass Paul Gerbaulet Tierarzt gewesen, aus Vetschau im Spreewald nach Lübeck gekommen war und hier für kurze zwei Monate in der Katharinenstraße 53 gelebt hatte, und zwar als Untermieter der verwitweten Johanne Ahrens. Sie arbeitete als Trichinenbeschauerin auf dem nahegelegenen Schlachthof und hatte über ihre Schwester Maria von der Felsen Verbindung zu Kreisen des Widerstands gegen das NS-Regime.
Der ungewöhnliche Familienname Gerbaulet machte es möglich, telefonisch Kontakte zu ferneren Verwandten zu finden, darunter einem Familienforscher, der die Verbindung zu nahen Angehörigen herstellen konnte. Im Gespräch mit einem Neffen Paul Gerbaulets kam dann schließlich zur Sprache, dass dieser homosexuell gewesen war, dies aber auch in der Familie ein Tabuthema gewesen sei. Durch die Erinnerungen der Familie und die Angaben der Wehrmachtsauskunftsstelle (WASt) ließ sich einiges über den Lebensweg von Paul Gerbaulet herausfinden.
Doch viele Fragen bleiben...
Geboren wurde Paul Gerbaulet am 1. April 1910 in der westfälischen Kleinstadt Epe im Kreis Ahaus im westlichen Münsterland. Seine Eltern waren der Kaufmann Bernhard Gerbaulet (Jg. 1878) und Maria Theresia Gerbaulet, geborene Henke (Jg. 1878). Gemeinsam mit dem älteren Bruder Johannes (Jg. 1909) und den jüngeren Geschwistern Alfred Bernhard (Jg. 1913) und Maria (Jg. 1915) wuchs er in Epe auf und besuchte das Gymnasium. Nach dem Abitur begann er sein Studium der Veterinärmedizin in Münster und erwarb 1938 an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover den Doktortitel. In Vetschau im Spreewald fand er eine erste Anstellung.
Doch mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurde der 29 Jährige einberufen und stand fortan als Angehöriger des Ersatz - Reserveregiments II in einem Militärverhältnis.
Was mag geschehen und in ihm vorgegangen sein, dass er sich bald darauf zu einem folgenschweren Schritt entschloss? Dank der Hilfe eines in Finnland lebenden Verwandten konnte er sich einige Monate lang in dessen Sommerhaus verbergen. Was aber veranlasste ihn, diesen Unterschlupf wieder zu verlassen? War es der bevorstehende nächste Winter? Wuchsen die Bedenken des Verwandten? War das Versteck nicht mehr sicher durch die zunehmende Annäherung Finnlands an Nazideutschland? Und was bewog Paul Gerbaulet, nach Lübeck zu gehen? Wie war der Kontakt zu Johanne Ahrens entstanden?
Ab dem 12. September 1940 war Paul Gerbaulet in Lübeck in der Katharinenstraße 53 gemeldet und gab gegenüber der Meldebehörde als Religionszugehörigkeit „gottgläubig“ und das Wehrverhältnis „Ersatz Reserve II“ an. Nur gut zwei Monate konnte er unbehelligt in der Stadt leben. Am 26. November 1940 wurde er von der Kriminalpolizei Lübeck verhaftet, erkennungsdienstlich behandelt und in die Strafanstalt Lübeck Lauerhof gebracht. Von dort wurde er nach Hamburg überführt.
Vom 5. Dezember 1940 befand er sich dort zunächst beim 1. Kriegsgefangenen-Arbeits- und Baubataillon 30. Nach drei Monaten wurde er am 18. Februar 1941 als Schütze in das 1. Infanterie-Ersatzbataillon 90, Hamburg-Rahlstedt versetzt. Zwischenzeitlich war er der Genesenenkompanie des 5. Infanterie-Ersatzbataillon 90 in Hamburg-Wandsbek zugewiesen, vom 18.12.1941 an.
Was war geschehen? War er krank? Verwundet worden? Oder hatte er sich selbst eine Verletzung zugefügt?
Über seinen Verbleib wird laut Mitteilung des Gerichtes der Division 190 mitgeteilt, er sei am 31. März 1942 um 6:30 Uhr in Hamburg-Rahlstedt auf dem Schießstand des Truppenübungsplatzes Höltigbaum erschossen worden. Laut Mitteilung des Landgerichtes Lübeck vom 11. April 1942 wurde er zuvor zum Tode verurteilt und von seinen Kameraden hingerichtet.
Besonders hart traf dies seine Eltern. Pauls 93jährige Tante erinnerte sich 2014, dass ihre Schwiegermutter, also Pauls Mutter, ihr einmal erzählt hatte: „…den Jungen haben sie erschossen, weil er schwul war.“ Anlässlich der Hinrichtung waren Maria und Bernhard Gerbaulet damals nach Hamburg gefahren. Pauls Vater holte seinen Sohn in Begleitung eines Wachmannes aus seiner Zelle zum letzten Gang auf den Schießplatz ab. Paul Gerbaulet wurde die Frage gestellt, ob er die Augen verbunden haben möchte, was dieser ablehnte. Dann wurde er vor den Augen seiner Eltern erschossen
Paul Gerbaulet starb am Vorabend seines 32. Geburtstages. Der Sterbefall wurde am 26. Juni 1943 beim Standesamt Hamburg-Rahlstedt unter der Registriernummer 105/43 beurkundet. Seine sterblichen Überreste wurden auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Grabreihe G 72/23/34 bestattet. Paul Gerbaulet ist einer von vielen Männern in Lübeck, die in der NS Zeit verfolgt und ermordet wurden, weil sie Männer liebten. Und er ist einer von mindestens 330 Wehrmachtsangehörigen, die allein in Hamburg hingerichtet wurden. Heute erinnert ein Denkmal am Truppenübungsplatz an deren Schicksal. Keiner der Verantwortlichen wurde je zur Rechenschaft gezogen.
In Lübeck erinnert seit 2014 ein Stolperstein in der Katharinenstraße 53 vor dem Haus der Familie Ahrens an den jungen Tierarzt.
Stolpersteinverlegung 2014 in der Katharinenstraße 53
„…den Jungen haben sie erschossen, weil er schwul war!“
Schwierige Annäherung an ein für lange Zeit unbekanntes SchicksalWurde über die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der bundesdeutschen Gesellschaft insgesamt sehr lange geschwiegen, so finden bis heute die Menschen, die aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt wurden, kaum Erwähnung. Im Fall von Paul Gerbaulet war es zudem ein langer Weg, seine Lebens- und Leidensgeschichte zumindest in Teilen zu rekonstruieren.
Aufmerksam auf einen 1942 am Hamburger Höltigbaum hingerichteten jungen Mann mit Lübecker Adresse machte die Initiative für Stolpersteine ein Hamburger Historiker. Auf den Schießständen des einstigen Übungsplatzes der Wehrmacht wurden von 1940 bis 1945 mehr als 300 Wehrmachtsangehörige hingerichtet, zum Tode verurteilt zumeist wegen Fahnenflucht oder Wehrkraftzersetzung.
Die Lübecker Meldekarte verriet, dass Paul Gerbaulet Tierarzt gewesen, aus Vetschau im Spreewald nach Lübeck gekommen war und hier für kurze zwei Monate in der Katharinenstraße 53 gelebt hatte, und zwar als Untermieter der verwitweten Johanne Ahrens. Sie arbeitete als Trichinenbeschauerin auf dem nahegelegenen Schlachthof und hatte über ihre Schwester Maria von der Felsen Verbindung zu Kreisen des Widerstands gegen das NS-Regime.
Der ungewöhnliche Familienname Gerbaulet machte es möglich, telefonisch Kontakte zu ferneren Verwandten zu finden, darunter einem Familienforscher, der die Verbindung zu nahen Angehörigen herstellen konnte. Im Gespräch mit einem Neffen Paul Gerbaulets kam dann schließlich zur Sprache, dass dieser homosexuell gewesen war, dies aber auch in der Familie ein Tabuthema gewesen sei. Durch die Erinnerungen der Familie und die Angaben der Wehrmachtsauskunftsstelle (WASt) ließ sich einiges über den Lebensweg von Paul Gerbaulet herausfinden.
Doch viele Fragen bleiben...
Geboren wurde Paul Gerbaulet am 1. April 1910 in der westfälischen Kleinstadt Epe im Kreis Ahaus im westlichen Münsterland. Seine Eltern waren der Kaufmann Bernhard Gerbaulet (Jg. 1878) und Maria Theresia Gerbaulet, geborene Henke (Jg. 1878). Gemeinsam mit dem älteren Bruder Johannes (Jg. 1909) und den jüngeren Geschwistern Alfred Bernhard (Jg. 1913) und Maria (Jg. 1915) wuchs er in Epe auf und besuchte das Gymnasium. Nach dem Abitur begann er sein Studium der Veterinärmedizin in Münster und erwarb 1938 an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover den Doktortitel. In Vetschau im Spreewald fand er eine erste Anstellung.
Doch mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurde der 29 Jährige einberufen und stand fortan als Angehöriger des Ersatz - Reserveregiments II in einem Militärverhältnis.
Was mag geschehen und in ihm vorgegangen sein, dass er sich bald darauf zu einem folgenschweren Schritt entschloss? Dank der Hilfe eines in Finnland lebenden Verwandten konnte er sich einige Monate lang in dessen Sommerhaus verbergen. Was aber veranlasste ihn, diesen Unterschlupf wieder zu verlassen? War es der bevorstehende nächste Winter? Wuchsen die Bedenken des Verwandten? War das Versteck nicht mehr sicher durch die zunehmende Annäherung Finnlands an Nazideutschland? Und was bewog Paul Gerbaulet, nach Lübeck zu gehen? Wie war der Kontakt zu Johanne Ahrens entstanden?
Ab dem 12. September 1940 war Paul Gerbaulet in Lübeck in der Katharinenstraße 53 gemeldet und gab gegenüber der Meldebehörde als Religionszugehörigkeit „gottgläubig“ und das Wehrverhältnis „Ersatz Reserve II“ an. Nur gut zwei Monate konnte er unbehelligt in der Stadt leben. Am 26. November 1940 wurde er von der Kriminalpolizei Lübeck verhaftet, erkennungsdienstlich behandelt und in die Strafanstalt Lübeck Lauerhof gebracht. Von dort wurde er nach Hamburg überführt.
Vom 5. Dezember 1940 befand er sich dort zunächst beim 1. Kriegsgefangenen-Arbeits- und Baubataillon 30. Nach drei Monaten wurde er am 18. Februar 1941 als Schütze in das 1. Infanterie-Ersatzbataillon 90, Hamburg-Rahlstedt versetzt. Zwischenzeitlich war er der Genesenenkompanie des 5. Infanterie-Ersatzbataillon 90 in Hamburg-Wandsbek zugewiesen, vom 18.12.1941 an.
Was war geschehen? War er krank? Verwundet worden? Oder hatte er sich selbst eine Verletzung zugefügt?
Über seinen Verbleib wird laut Mitteilung des Gerichtes der Division 190 mitgeteilt, er sei am 31. März 1942 um 6:30 Uhr in Hamburg-Rahlstedt auf dem Schießstand des Truppenübungsplatzes Höltigbaum erschossen worden. Laut Mitteilung des Landgerichtes Lübeck vom 11. April 1942 wurde er zuvor zum Tode verurteilt und von seinen Kameraden hingerichtet.
Besonders hart traf dies seine Eltern. Pauls 93jährige Tante erinnerte sich 2014, dass ihre Schwiegermutter, also Pauls Mutter, ihr einmal erzählt hatte: „…den Jungen haben sie erschossen, weil er schwul war.“ Anlässlich der Hinrichtung waren Maria und Bernhard Gerbaulet damals nach Hamburg gefahren. Pauls Vater holte seinen Sohn in Begleitung eines Wachmannes aus seiner Zelle zum letzten Gang auf den Schießplatz ab. Paul Gerbaulet wurde die Frage gestellt, ob er die Augen verbunden haben möchte, was dieser ablehnte. Dann wurde er vor den Augen seiner Eltern erschossen
Paul Gerbaulet starb am Vorabend seines 32. Geburtstages. Der Sterbefall wurde am 26. Juni 1943 beim Standesamt Hamburg-Rahlstedt unter der Registriernummer 105/43 beurkundet. Seine sterblichen Überreste wurden auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Grabreihe G 72/23/34 bestattet. Paul Gerbaulet ist einer von vielen Männern in Lübeck, die in der NS Zeit verfolgt und ermordet wurden, weil sie Männer liebten. Und er ist einer von mindestens 330 Wehrmachtsangehörigen, die allein in Hamburg hingerichtet wurden. Heute erinnert ein Denkmal am Truppenübungsplatz an deren Schicksal. Keiner der Verantwortlichen wurde je zur Rechenschaft gezogen.
In Lübeck erinnert seit 2014 ein Stolperstein in der Katharinenstraße 53 vor dem Haus der Familie Ahrens an den jungen Tierarzt.